Doris Reck-Hartmann bei Vorbereitungen in der Küche

Herbst 2023 – Mehrwertsteuer

12. Oktober 2023

In der Branche gibt es kurz vor dem Jahreswechsel kaum ein anderes Thema mehr – die Beendigung der Mehrwertsteuersenkung. Grund genug, hier wieder einmal von der Seele zu schreiben, im persönlichen Blog eines ausgemachten Gastroholikers.

Kurz zur Erklärung:

„Bis Corona“ musste Essen, das im Sitzen bzw. im Haus verzehrt wurde, mit 19 % versteuert werden, während zubereitetes Essen zum Mitnehmen oder im Stehen verzehrt mit 7 % zu Buche schlug.

Das hat mitunter zu absurden Situationen geführt, z. B. zu Schildern in Eisdielen, die einzelne Kugeln von der Theke nicht am Tisch serviert haben – eben aufgrund dieser Schieflage.

Als schnelle und relativ unbürokratische Hilfe wurde im Zuge der Corona Pandemie entschieden, alle zubereiteten Speisen mit 7 % zu versteuern. Das hatte zur Folge, dass wir einen Teil der fehlenden Umsätze (zur Erinnerung: unsere Branche wurde insgesamt 9 Monate pauschal zwangsgeschlossen) wieder kompensieren konnten, als wieder Essen im Haus verzehrt werden durfte.

Diese Senkung war nie als Entlastung für die Gäste, sondern als Soforthilfe für eine ganze Branche mit fast 2 Millionen Beschäftigten gedacht.

Übrigens, das nur nebenbei: In Bayern stellt die Gastronomie und Hotellerie jeden 10. Arbeitsplatz. Also man kann durchaus von einem gelungenen Konjunkturprogramm sprechen.

Die Corona Pandemie ist zum Glück ausgestanden, aber direkt darauf musste sich unsere schönste Branche der Welt, die im ganzen betrachtet aktuell immer noch nicht zu alten Belegungszahlen gefunden hat, neu behaupten: die Inflation.

Wenn man unsere Hauptartikel betrachtet (Personal, Lebensmittel, Energie), so kommt man zu wesentlich höheren Inflationswerten als die 6-8 %, die auf den gesamtdeutschen Warenkorb betrachtet im Moment so anfallen. Fachmedien sprechen von ca. 30 %, das kann ich aber nur nachplappern und nicht fundiert belegen.

Im letzten Jahr war die zusätzlich erwirtschafteten Erlöse, die aus der Senkung von 19 auf 7 % resultieren, lebensnotwendig.

Ja, wir konnten Preissteigerungen durchsetzen. Die waren aber auch nötig, allein wegen der gestiegenen Kosten. Wir erwirtschaften branchenübergreifend ca. 10-15 % kalkulierten Gewinn, viele auch sehr viel weniger (wir auch). Wir sind damit weit entfernt von Margen, wie sie beispielsweise im Handel üblich sind.

Unsere Branche ist personalintensiv – wir haben etwa 30-50 % Personalkosten. Wir mussten im Zuge der Inflation und des allgemeinen Personalmangels mit den Löhnen sehr ordentlich nach oben gehen, um die Mitarbeiter zu halten. Neue ausgebildete Mitarbeiter zu finden ist quasi unmöglich, darum ist es umso wichtiger, die Mitarbeiter zu halten, die nicht in andere Branchen abgewandert sind.

Auch diese gestiegenen Kosten hat die gesenkte Mehrwertsteuer zum Teil aufgefangen und wir konnten viele Arbeitsplätze erhalten.

Nun soll also aufgrund der finanziellen Notlage des Bundes die Mehrwertsteuersenkung beendet werden.

Was heißt das für uns und für unsere Gäste?

Die Mehrwertsteuer ist ein durchlaufender Posten. Wir kalkulieren unsere Preise aufgrund der Kosten und des kalkulierten Gewinnes. Auf diesen Nettowert wird die Steuer aufgeschlagen.

Das heißt im Klartext: Die Preise steigen um ca. 10-14 %. Wir haben keine andere Chance, da wir aufgrund unserer geringen Gewinnmarge gar nichts selbst auffangen können.

Was heißt das noch?

Die Ungerechtigkeit wird wieder hergestellt – Essen im Stehen, Fast Food usw. wird begünstigt, während sozial wertvolle Gelegenheiten wie das Familienessen, die Feier bei uns und auch die Schul- und Kindergartenverpflegung teurer werden (müssen).

Und was heißt das noch?

Wir sind inzwischen in einem preislichen Bereich, wo Essen gehen, nicht mehr Alltag, sondern etwas Besonderes ist. Wir müssen, um uns weiterhin am Markt zu behaupten, nicht nur „zufriedene“, sondern begeisterte Gäste verabschieden. Für uns ist das eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen.

Wir sind inzwischen in einem preislichen Bereich, wo unsere Branche wieder mehr Wertschätzung erfährt. Unsere Leistung wird mehr anerkannt und nicht nur als immer verfügbare Dienstleistung gesehen.

Der Markt wird schmäler, viele haben während und nach Corona aufgegeben und auch jetzt werden wir uns leider wieder von einem Stück Vielfalt in der Gastronomie verabschieden müssen.

Das Resultat ist Verknappung des Angebots, was zur Folge hat, dass Reservierungen weit im Voraus getätigt werden müssen. Auch das führt zu einer steigenden Wertschätzung.

Vielleicht schaffen wir in den nächsten Jahren in diesem Zuge auch den Sprung, dass unser Ruf wieder besser wird. Die Bezahlung und die Gestaltung der Arbeitszeiten sind schon länger sehr viel besser als es früher war. Die Branche hat Ihren schlechten Ruf in den vergangenen Jahrzehnten selbst verschuldet, das ist keine Frage, aber wir haben inzwischen attraktive Arbeitsplätze zu bieten und müssen das jetzt gelungen nach draußen kommunizieren.

Vielleicht schaffen wir es, dass der Schulabgänger bei passender Bezahlung und Arbeitsbedingungen auch die Gastronomie als attraktive Möglichkeit ernsthaft in Betracht zieht.

Unsere schönste Branche der Welt würde es verdienen, auch weiterhin von der gesenkten Mehrwertsteuer zu profitieren.

Aber unsere Bemühungen, die Politik davon zu überzeugen, sind allen Anschein nach gescheitert. Unsere Branche ist zu kleinteilig, zu weit verstreut, um geballt Lobbyarbeit leisten zu können. Auch wenn wir mehr als doppelt so viele Beschäftigte als die Automobilindustrie haben, können wir uns bei den Entscheiden kein Gehör verschaffen und werden nicht ernst genommen.

Die kurzsichtige Sichtweise, dass die Steuererhöhung mehr Geld in die Kassen des Bundeshaushaltes spült, könnte sich als Fehleinschätzung erweisen – denn ein Betrieb, der schließen muss, erwirtschaftet überhaupt keine Steuereinnahmen mehr und die Mitarbeiter, die Ihren Arbeitsplatz verlieren, tragen auch nicht zu einer positiven Bilanz bei.

Aber: die Entscheidung scheint so gut wie gefallen und so werden wir auch diese Herausforderung stemmen und stärker als je zuvor daraus hervorgehen.

Danke fürs Lesen.

Doris Reck-Hartmann

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