
Oktober 2024 – Die Gastronomie: Ein sinkendes Schiff?
Die schönste Branche der Welt kommt seit Jahren nicht zur Ruhe. Nach den langen Coronaschließungen und den Einschränkungen, mit denen wir danach noch monatelang kämpfen mussten, sind die letzten Monate geprägt von Preissteigerungen und der Rückkehr zu 19 % Mehrwertsteuer.
Natürlich ist dieser Beitrag – wie alle anderen zuvor auch – sehr subjektiv und trifft nicht auf alle Facetten unserer so vielfältigen Branche zu.
Im vorherigen Blog bin ich schon auf diese Schwierigkeiten eingegangen. Es ist ja oft noch so dass wir Gastronomen uns anhören müssen, dass wir die Mehrwertsteuersenkung zu eigenen Gunsten eingesteckt hätten und jetzt ungerechtfertigterweise die gestiegene Steuer einfach wieder oben drauf schlagen. Die Hintergründe dazu habe ich schon mal erklärt, wer mag gerne nachlesen in den vorherigen Beiträgen. Vielleicht versteht ihr uns dann etwas besser.
Heute möchte ich über eine andere Tatsache sprechen, die mich umtreibt.
Unsere Branche hat so wie es im Moment aussieht, keine Zukunft. Wir befinden uns auf einem sinkenden Schiff. Ein Jahr nach dem anderen gestaltet sich schwieriger als das zuvor. Die Vielfalt in unserer Branche stirbt, es schließen Traditionsbetriebe, die jahrzehntelang erfolgreich bewirtschaftet wurden. Franchise-Unternehmen und Imbisse schießen aus dem Boden, oft schließen die aber genauso schnell wieder wie sie gekommen sind. Also ist auch das kein Erfolgsgarant.
Die immensen Kostensteigerungen sind ein Grund, der viele zur Aufgabe zwingt. Die gestiegenen Preise können und / oder wollen unsere Gäste nicht mitmachen, es kommt zu einem geringeren Geschäftsaufkommen, sodass die Bilanz noch mehr leidet.
Nach 2020 und 2021 waren durch die fehlenden Umsätze die Steuervorauszahlungen gering, sodass in diesem schwierigen Jahr auch noch große Nachzahlungen auf so manchen Wirt zukommen. Wenn dann die Liquidität fehlt, wird es schwierig, denn das Finanzamt wartet nicht.
Die Schlussabrechnung der Corona Hilfe sollte längst von allen Betrieben eingereicht sein, aber noch immer fehlen etwa 1/3 der Abrechnungen. Im Herbst ist der letzte Stichtag, bei fehlender Schlussabrechnung erfolgt eine vollständige Rückzahlung. Auch das wird noch ein böses Erwachen für einige Gastronomen geben.
Dieser Liquiditätsengpass aus den verschiedensten Gründen wird in diesem Jahr noch den ein oder anderen zur Aufgabe zwingen, da auch die Banken nicht gerade großzügig sind wenn es um kurzfristige Liquiditätskredite für die Gastronomie geht.
Natürlich kann man sagen: Selbst schuld, das sind Geschäftsleute, die müssen doch ihre Zahlen im Griff haben! Ja, das kann man zurecht behaupten. Aber diese Betriebsinhaber haben seit 2020 mit den Problemen im Tagesgeschäft so viel um die Ohren, dass diese zugegebenermaßen immens wichtigen Dinge etwas ins Hintertreffen geraten.
Wirte sind so gut wie nie ausgebildet in BWL oder Buchhaltung und auf die Arbeit eines guten Steuerberaters angewiesen. Wenn es da hapert, wird es schwer, vor allem wenn das Schiff schon seit Jahren nicht mehr so richtig auf Kurs ist.
Bereits 2023 sind die Insolvenzen in der Gastronomie um 35 % gestiegen und auch 2024 wird eine neue Steigerung von wieder 30 % erwartet. Dazu kommt, dass etwa die zehnfache Anzahl an Gastronomiebetrieben, die schließen, keine Insolvenz durchlaufen, sondern einfach still und heimlich nicht mehr aufmachen. (Quelle: Gastgewerbe-Magazin)
Die fehlende Aussicht auf Nachfolger und die schier unlösbaren Personalprobleme tragen Ihr übriges dazu bei, die Entscheidung Richtung Geschäftsaufgabe zu treiben.
Große deutsche Firmen (z. B. die Deutsche Bahn) werben aggressiv um Gastronomiemitarbeiter. Unsere belastbaren, flexiblen Mitarbeiter sind sehr umworben und wenn wir hier nicht mit sehr guten Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen punkten, stehen wir bald alleine da.
Aber auch das muss im Endeffekt natürlich der Gast über den Preis bezahlen und wir könnten den Text hier von vorne starten.
Alles in allem sehen wir seit fast 4 Jahren, wie eine Branche ausgedünnt wird. Die Betriebe, die inhabergeführt sind und sich durchsetzen können, werden weniger. Die Vielfalt wird weniger.
Ich finde das traurig und erschreckend. Es geht ein Kulturgut verloren. Man kann hier keinen einzelnen „Schuldigen“ ausmachen, es ist ein Zusammenspiel aus ungünstigen Umständen, schädlicher politischer Entscheidungen, mangelndem Anforderungsprofil an unsere Ausbildungen und der jahrelange von uns selbst verschuldete Raubbau an unserem Ruf was die Mitarbeiter angeht.
Ich hoffe sehr, dass sich einige Traditionsbetriebe halten können. Unserer zum Beispiel aus sehr eigennützigen Motiven, aber es gilt die Vielfalt und die Originalität unserer Branche zu erhalten.
Also bitte überlegt doch mal, bevor Ihr Euch als Gast über die Preise beschwert, ob der wirklich so exorbitant hoch ist. Oder ob, wenn man mal 19 % Mehrwertsteuer abgezogen hat, sich den Personalaufwand und die Qualität der Produkte genauer anschaut, hier nicht einfach sauber kalkuliert wurde.
Vielen Dank fürs Lesen.
Doris Reck-Hartmann