
Sommer 2022 – Die Gastronomie verändert sich
Zweieinhalb Jahre sind vergangen, seitdem unsere Welt auf den Kopf gestellt wurde. Corona hat sich zu einem ständigen, etwas nervigen, aber irgendwie akzeptierten Begleiter entwickelt und ich will hier heute auch gar nicht weiter darauf eingehen.
Die vergangen zweieinhalb Jahre waren zum einen geprägt von dem „Hier und Jetzt“, also mit welchen Maßnahmen führt man den Betrieb durch die schwierige Zeit, welche Geschäftsfelder werden erschlossen, was kann funktionieren, auf was soll man sich konzentrieren?
Wir haben mit dem Abholessen und dem Webshop, ergänzt durch die staatlichen Coronahilfen und die Kurzarbeit einen Weg gefunden, um unser Überleben und unsere Arbeitsplätze zu sichern. Im Nachhinein sehr froh und stolz, das geschafft zu haben.
Der andere große Brocken war das „Wie kann es weitergehen“, also wie kann man den Betrieb für die Zukunft nach Corona rüsten? Wie viel Geld kann – darf – soll man investieren um zukunftsfähig zu sein? Welche Maßnahmen kann man überhaupt ergreifen?
Das alles war kaum planbar und ein Stochern im Nebel. Ich erschrecke im Nachhinein immer noch selbst über meinen Mut, diese immense Investition „Modernisierung“ durchgezogen zu haben, deren Ergebnisse zum Teil offensichtlich sind, aber vieles entfaltet sich auch für den Gast unsichtbar hinter den Kulissen. Es war der richtige Schritt zur richtigen Zeit und wir sind froh, diese Verbesserungen in unserem Betrieb zu haben.
Was mir jetzt am Herzen liegt, ist über die Entwicklungen in der schönsten Branche der Welt zu schreiben.
Vor zwei Jahren noch habe ich geschrieben „Die Gastronomie stirbt“. Inzwischen bin ich anderer Meinung zum Glück! Ich würde heute sagen „Die Gastronomie verändert sich“
Die vergangenen Monate und Jahre haben in vielen Gastronomen persönlich und in der Branche etwas verändert. Wie immer bei Veränderungen gibt es zwei Seiten der Medaille.
Viele Betriebe haben es nicht geschafft. Die Gastronomie hat einen Teil Ihrer Vielseitigkeit, Ihrer Liebenswürdigkeit, Ihrer Kreativität, Ihrer Buntheit verloren. Kleine, inhabergeführte Betriebe, Läden weit draußen auf dem Land, getränkegeprägte Gastronomie und viele andere konnten dem Druck durch Corona nicht standhalten und mussten aufgeben. Die meisten sind unwiederbringlich verloren und mit Ihnen Ihre Originalität und Ihre Erfahrung.
Viele wertvolle Mitarbeiter haben die Branche verlassen, weil die Unsicherheit einfach zu groß war.
Manche Dinge haben Ihre Leichtigkeit verloren.
Aber es gibt auch die „Überlebenden“. Aber auch
Sie können noch nicht abschließen und zur Normalität zurückfinden. Sie befinden sich immer noch im Wandel und stehen neuen, immensen Herausforderungen gegenüber, obwohl Sie oft mit den Coronaherausforderungen noch nicht ganz durch sind.
Es hat sich was verändert. Wir haben irgendwie zu einem neuen Selbstwertgefühl gefunden. Wir wissen inzwischen, dass wir wichtiger sind als meistens angenommen und dass wir mehr wert sind als wir selbst denken.
Wir sind Dienstleister aus ganzem Herzen, wissen aber inzwischen auch, dass auch wir Grenzen aufzeigen dürfen und uns nicht alles gefallen lassen müssen.
Wir haben gelernt, dass wir auf uns selbst achten müssen. Dass wir zwar gern und viel arbeiten, aber auch das Recht auf eine etwas andere Work-Life-Balance haben, auch wenn wir das Wort hassen.
Die schönste Branche der Welt ist Begleiter Eurer aller Leben. Wir sind immer dabei, in ganz unterschiedlichen Formen.
Wichtige Anlässe wie alle kirchlichen Feiern und Geburtstage,
vermeintlich unwichtige Anlässe wie das versprochene Eis beim Familienausflug, das traditionelle Sonntagsessen, die Besprechung mit Geschäftspartnern, die traditionelle Mass Bier auf der Kerwa,
alltägliche Begleitung wie das Kindergarten- und Schulcatering oder der Coffee to go am Morgen,
Erfahrungen, die man nie vergisst wie durchtanzte Nächte im Club, das erste selbst verdiente Geld beim Studentenjob oder die erste Knutscherei in der dunklen Kneipenecke – wir sind dabei.
Man muss sich als Gastronom manchmal vor Augen halten, dass man am selben Tag eine Taufe und eine Beerdigung begleiten darf. Wir sind die Orte, die wichtig für Euch sind!
Dieses neue Selbstbewusstsein kommt nicht überall gut an. Es stößt auf Unverständnis, wenn wir bestimmte Dinge durchziehen – Veranstaltungen nicht machen, Öffnungstage reduzieren, Bereiche schließen, weil diese aufgrund von Personalmangel nicht optimal bewirtet werden können.
Aber es ist wichtig unrichtig, sich nicht unter Wert zu verkaufen und auf Qualität statt Quantität zu achten.
In vielen anderen Branchen sind Dinge selbstverständlich, die wir (noch) nicht oder nur mit damit verbundener Rechtfertigung durchziehen können.
Es ist ganz normal, dass man mit einer Theaterkarte einen Platz bucht – aber wenn wir leer bleibende Plätze (durch No Show oder bei Veranstaltungen durch den Wunsch nach einem Raum allein) in Rechnung stellen, sorgt das für Empörung.
Es ist ganz normal, dass Dienstleistungen im Handwerk am Wochenende teurer sind – aber von uns wird erwartet, dass wir die Dienstleistung an allen Wochenenden an allen Feiertagen zur Verfügung stellen und das möglichst günstig. Aufschläge an Wochenenden sind absolut nicht durchsetzbar. ( Jetzt kommt immer das Argument: „Ihr wusstet ja, was Ihr für einen Job macht“ – das rechtfertigt aber nicht die Tatsache, dass die Arbeitszeit des Kochs am Sonntag weniger wert sein soll als die des Klempners)
Dieses neue Selbstwertgefühl hat nichts mit Überheblichkeit zu tun. Es ist immer noch von Respekt und Dankbarkeit gegenüber dem Gast geprägt. Aber ein Teil der ungesunden Demut hat sich verabschiedet.
Nun stecken wir mitten drin in Herausforderungen, die wir genau wie Corona so niemals erwartet hätten.
Die Preissteigerungen bei unseren drei größten Kostenblöcken – Lebensmittel, Personal und Energie – übertreffen unsere schlimmsten Befürchtungen und wir müssen sehr, sehr genau und mit spitzem Bleistift rechnen.
Was oft nicht im Bewusstsein der Gesellschaft verankert ist: Auch wir führen Betriebe, sichern den Lebensunterhalt unserer Mitarbeiter, sind wichtige Glieder in regionalen Lieferketten, sind Steuerzahler und haben Verantwortung in der Gesellschaft. Wir MÜSSEN betriebswirtschaftlich sinnvoll arbeiten und können Preissteigerungen nicht einfach selbstlos ignorieren.
Wenn ein Konzern Gewinne ausweist, bekommt er ein anerkennendes Schulterklopfen, ein Gastronom bekommt ein verächtliches „Ihr verdient Euch ja eine goldene Nase“.
Der Mitarbeitermangel in der Branche ist immens. Es gibt kaum einen Betrieb, der nicht schon die absolute Notbremse gezogen hat, nämlich Öffnungszeiten oder Kapazitäten einschränken.
Zum Teil ist das natürlich hausgemacht, ganz klar. Jahrzehntelanger Raubbau an der wichtigsten Ressource Mitarbeiter hinterlässt seine Spuren. Ein anderer Faktor war sicherlich Corona. Unsere Mitarbeiter sind so tough, so vielseitig, so flexibel einsetzbar, haben so immens viele „Soft Skills“, dass sie überall mit Handkuss genommen werden. Und viele haben diese Flucht während der langen Kurzarbeitszeit genutzt und werden wohl so schnell auch nicht wiederkommen. Außerdem fehlt der Nachwuchs und solange die Berichterstattung überall und die Berufsberatungen kein besseres Bild von unserem wunderschönen Beruf zeichen, wird sich das auch nicht ändern.
Aber die Branche ist besser als ihr Ruf. Unser wunderschöner Beruf kann inzwischen mit sehr viel besseren Arbeitsbedingungen aufwarten als so manch anderer. Ein Nebenjob, eine Ausbildung in der Gastronomie bereitet einen jungen Menschen besser auf das Leben vor als irgendetwas anderes.
Ich spreche hier für meinen Betrieb, wenn ich sage:
Meine Mitarbeiter werden keine Millionäre, können aber problemlos Ihren Lebensunterhalt bestreiten. Meine Mitarbeiter haben ungewöhnliche Arbeitszeiten, können diese aber mitbestimmen. Meine Mitarbeiter haben oft lange Tage, feiern diese aber genau so gern wieder ab. Meine Mitarbeiter bekommen Anerkennung und Wertschätzung und leben für den Dienst am Gast. Meine Mitarbeiter lieben Ihre Jobs!
Wir erwarten die kommenden Monate, die von Mitarbeiterengpässen, ungewisser Preisentwicklung und vielleicht auch wieder Einschränkungen durch Corona geprägt sein werden und wissen doch ganz genau, dass wir nichts anderes machen wollen würden.
Es bleibt spannend.
Danke fürs Lesen!
Doris Reck-Hartmann